Als Mafia 2002 erschien, damals noch entwickelt von Illusion Softworks (heute 2K Czech), leistete das Spiel Pionierarbeit. Es war hinsichtlich seiner cinematischen Präsentation eines der ersten und wichtigsten seiner Art.
Zwar erschien mit Grand Theft Auto III ein Jahr zuvor bereits ein Spiel mit frühen Anleihen an der Regie von Action-Filmen. Mafia allerdings war es, das nicht nur das Open-World-Genre als erstes Spiel mit einem dermaßen klaren Fokus auf Regie und Erzählung darstellte, sondern seine filmischen Vorbilder eindeutig zitierte und so die Liebe zum Bewegtbild deutlicher denn je zum Ausdruck brachte. Noch heute gilt der Titel daher zurecht als Meilenstein des Genres und der Entwicklung der Videospiele im Allgemeinen. Die Parallelen zu Regie-Legende Martin Scorsese sind unverkennbar.
Zeit fürs Bild
Was machte Mafia zum Zeitpunkt seines Erscheinens anders? Es ließ sich Zeit für seine Bildsprache. Bereits die Eingangssequenz des Originals badet in einem audiovisuellen Fluss, in dem die Macher die Kamera minutenlang durch ihre fiktive Ostküstenstadt Lost Heaven fliegen ließen: vorbei am einsamen Leuchtturm am Ozean, durch einen beschaulichen Vorort bis ins hektische Treiben des Großstadtkerns. So etablierten sie mit der Sprache des Kinos ein Gefühl und die nötige Atmosphäre für das von ihnen geschaffene Setting – ein Zelebrieren der Bildsprache, wie es Martin Scorsese mit seinen legendären Introsequenzen á la Casino vormachte.
Der 2010 erschienene Nachfolger Mafia II ging sogar noch einen Schritt weiter. Als Kriegsheimkehrer Vito Scaletta kommt der Spieler in den Handlungsort, die fiktive Metropole Empire Bay, welche stark an kriminelle Filmhochburgen, wie Chicago oder New York erinnert. Zunächst auf den eisglatten Straßen im stylischen Oldtimer unterwegs, findet er sich bald festen Fußes auf den verschneiten Gehsteigen wieder. Das rege Treiben der Bürger unter Schneefall und den Klängen der weltbekannten Interpretation Dean Martins von Let It Snow lassen unweigerlich einen atmosphärischen Sog entstehen, der Elementen einer filmischen Milieustudie folgt. Elegant verbanden die Entwickler hier filmischen Aufbau mit dem interaktiven Element des Mediums, indem jene Augenblicke eben nicht in einer Zwischensequenz, sondern ins aktive Gameplay eingebunden wurden. Man stelle sich vor, Ray Liotta in der legendären Copacabana-Plansequenz in Martin Scorseses GoodFellas zu steuern.
Ohnehin waren die Entwickler stets darauf bedacht, Augenblicke szenisch denn wörtlich aufzulösen. So folgten sie einem sorgsamen Aufbau und steigerten innerhalb einer Szene die Spannung, indem sie den Details viel Raum gaben: Gestik und Mimik übernahmen eine ungleich effektivere Funktion als unendlich lange Dialoge, denn alle Handelnden wurden als Schauspieler, nicht als tote Figuren verstanden. Ihre Kamera blieb nah in ihren Figuren und wagte es, selbst kleinste Regungen einzufangen. Ein Schmunzeln oder der verstohlene Austausch von Blicken ließen den Moment des Augenblicks lebendig werden und verlieh ihnen so ungemeine Spannung. Es ist, als wohnten wir einer Szene zwischen Robert De Niro und Co. bei, in der jedes Zucken und jeder Blick die angespannte Atmosphäre zum Überkochen bringen könnte.
Mit Liebesgrüße von Scorsese
Ihr besonderer Fokus auf die Charaktere war dabei stark an Geschichten aus dem Werk Scorseses angelehnt, zumal manche Figur an Darsteller erinnerte, wie etwa Joe Pesci. Wie in Filmen des bekannten Regisseurs, war Figur wie Spieler in der Regel Teil einer Gruppe denn Einzelgänger. Die Entwickler folgten dabei dem bekannten Sujet von Aufstieg und Fall. Als Niemand hieß es, sich in figurenreichen Mafia-Strukturen als loyales Mitglied zu etablieren und möglichst weit nach oben zu arbeiten. Doch bedeutete dies nicht, von einem Schussgefecht unmittelbar ins nächste zu gelangen. Die Gewaltspitzen waren in vertragbaren Filmdosen ausgepegelt. Alle Interaktivität stand im Zeichen der Narration.
Viel Zeit wurde daher auch für die atmosphärischen Momente außerhalb der Actionsequenzen aufgewendet, wodurch das Spiel die damaligen Grenzen des Mediums verschob. Mit Tommy, dem Titelhelden aus dem Original, begann der Spieler mit einer Mission, in der wir ihn als das spielen, was er war: Ein Taxifahrer, dessen Weg sich dramatisch mit dem einer Mafia-Familie kreuzt. Das ist das klassische Bild des Nobody, der zur kriminellen Größe wird. Erinnerungen an den Hintergrund Don Vito Corleones (Marlon Brando / Robert De Niro) aus Der Pate I und II werden wach.
Diese sorgsame Einführung band den Spieler an seine Charaktere und degradierte sie nicht zu seelenlosen Schießbudenfiguren. So folgte er ihnen interessiert auch nach Stunden in Lost Heaven oder Empire Bay, zumal die Handlungsorte ähnlich ausstattungsreich daherkamen, wie vergleichbare Milieustudien im Kino.
Einem Film Scorseses gleich, setzten die Köpfe hinter der Spielereihe zudem auf eine besonders wirkungsvolle, der Zeit angepasste musikalische Untermalung. Während das Original noch Orchesterstücke mit Jazz verband, führte sein Nachfolger Radiosender mit namhaften Titeln ein, der den sinfonischen, dramatischen Score unterstützte und den 1940ern bzw. 1950ern auch ihren auditiven Ausdruck verlieh. So ergaben sich unter den Klängen von "Mr. Sandman" oder "Rock around the clock" wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei.
Mafia III von Hanger 13 schickt sich mit seinem quietschbunten und doch düsterem Setting der späten 1960er an, die cinematische Richtschnur der Reihe fortzuführen. Flower Power trifft Mafia, Vietnamkrieg prallt auf Rebellion. Und mittendrin ihr, die Spieler. Diesmal gegen die Mafia.