New Bordeaux als heimlicher Hauptcharakter
New Orleans ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Die Wiege des Jazz bietet nicht nur eine bunte Mischung an Distrikten, in der größten Stadt Louisianas prallen die verschiedensten Lebensarten aufeinander und sorgen für eine lebendige, kulturelle und visuelle Reichhaltigkeit, die sich in dieser Art in kaum einer anderen US-amerikanischen Stadt finden lässt.
Eigentlich ist New Orleans mit seiner Vielfalt prädestiniert dafür, als Bühne für Videospiele zu dienen, bisher ist das allerdings nur vergleichsweise selten geschehen. Mafia 3 nimmt sich dieses Problems an und schafft mit New Bordeaux zwar keine 1-zu-1-Kopie der wahrscheinlich faszinierendsten Stadt der amerikanischen Südstaaten, wohl aber ein authentisches Abbild, das anderen Open World-Spielplätzen in nichts nachstehen muss und eigentlich ein eigener Hauptcharakter ist.
Los Angeles war gestern
Städte wie Los Angeles, Chicago oder New York standen mehr als einmal entweder im Rampenlicht oder Pate für fiktive Porträts. Auf ihrer Basis wurden faszinierende Orte wie Los Santos, Empire Bay oder Lost Heaven zum Leben erweckt, die wir unter anderem in der GTA- oder Mafia-Reihe erkunden durften. Doch egal wie gelungen diese Schauplätze in der Vergangenheit waren und wie viele Stunden wir in ihnen verbracht haben, egal wie spannend das falsche L.A. bei unserem ersten Rundgang gewesen sein mag, irgendwann blättert der Lack. Auch der schönste Spielplatz verliert seinen Reiz, wenn er über die Jahre hinweg als Blaupause für unzählige Nachahmer verwendet wird.
Mit New Bordeaux wird uns ein neuer Sandkasten geboten, der Betonschluchten durch eine Fülle architektonischer Stile ersetzt, Sandstrände durch Sumpfgebiete und das Gefühl belangloser Weitläufigkeit durch das gedrängter Freiheit. New Bordeaux lebt von einer Liebe zum Detail, die sich vor allem in der wechselnden Atmosphäre der Stadt spüren lässt, deren größte Gemeinsamkeit es ist, dass die unterliegende Brutalität dennoch an jedem Ort spürbar ist.
Auf der Oberfläche ist die fiktive Version von New Orleans je nach Distrikt eine Mischung aus gutbürgerlicher Kleinstadt, Großstadtmillieu, industrieller Zone, fast schon malerischer Sumpflandschaft oder Zentrum eines pulsierenden Nachtlebens. Unter der fast schon unschuldigen Fassade verborgen schlummern jedoch die kriminellen Machenschaften der Mafia, die die Stadt wie Adern durchziehen und mit Leben füllen.
Große Stadt statt Großstadt
Wie viele Open World-Spiele besteht auch die Welt in Mafia 3 aus verschiedenen Teilbereichen, die eine größere Abwechslung in das Stadtbild bringen sollen. Zwischen den Neonlichtern der French Ward, den Docks von River Row und den Stahlbauten Downtowns finden wir nicht nur visuelle, sondern auch atmosphärische Abwechslung in den Straßen New Bordeaux. Anders als es jedoch häufig der Fall ist, existieren diese Stadtteile nicht als losgelöste Hub-Welten, die nur vage miteinander verbunden sind. Sie sind nicht durch obskure Hindernisse voneinander getrennt, sondern gehen von Anfang an fließend ineinander über. Das sorgt für ein organisches Weltbild, das nicht wirkt wie ein Haufen Puzzlestücke, die nicht vom selben Bild zu stammen scheinen.
Auf vielerlei Arten ist New Bordeaux weniger eine Großstadt im klassischen Sinne und vielmehr eine große Stadt. Obwohl die Welt von Mafia 3 alles andere als klein ist, fühlt sie sich durch ihre Konzentration auf die einzelnen, miteinander verbundenen Distrikte intimer an als es vielen anderen Open World-Spielen gelingt. Das zeigt sich unter anderem durch die Art, wie sich die verschiedenen Orte auf Lincoln Clay, den Hauptcharakter des Spiels, auswirken.
Wird er in den Hollows von seinen Nachbarn und Passanten auf offener Straße gegrüßt, darf er in Frisco Fields bestimmte Gebäude aufgrund seiner Hautfarbe nicht einmal betreten. Das ist nicht nur eine interessante Gameplay-Mechanik, die unsere Open World-Freiheit einschränkt, sondern gibt New Bordeaux ebenfalls Tiefe und eine Spur Realismus. So wird die Stadt nicht zu einem bloßen Schauplatz, sondern zu einem eigenen Charakter, mit vielen unterschiedlichen Gesichtern.
Zwischen Kleinstadt-Flair & Alligatoren
Während Frisco Fields ein perfektes Abbild des berüchtigten Südstaaten-Charmes mit gepflegten Vorgärten und dicken Geldbeuteln zu sein scheint, lauern unter der elitären Front brennende Kreuze und Rassenhass. Auch Southdown hat unter der Oberfläche wenig mit einer normalen Kleinstadt zu tun. Wagt man mehr als einen Blick, stechen sofort Cage Fights, Glücksspiel und grundlose Gewalt ins Auge, die den Distrikt dominieren. Selbst das idyllische Bayou Fantom mit seinen malerischen Sonnenuntergängen bekommt eine neue Perspektive, wenn wir es vom Alligator-verseuchten Grund eines Sumpfes aus betrachten, der sich perfekt zum Loswerden überflüssiger Leichen anbietet.
New Bordeaux schafft es meisterlich, auf den ersten Blick zu blenden, um dann Gegensätze so miteinander zu kombinieren, dass sie sich gleichzeitig verdorben und anziehend anfühlen. Dadurch entsteht eine Stadt, die ein ganz eigenes Gefühl von Moral bietet, bei dem nicht immer klar ist, ob es überhaupt so etwas wie eine gute Seite gibt. Mafia sei dank.